Mein EURO-Tagebuch: Bitteres Ende in der 122. Minute

Seit einer Woche ist SVSF-Abwehrrecke David Blazanovic nun schon bei der EURO im Einsatz. Hier auf der Homepage schildert er uns in seinem Tagebuch, was er während seines Einsatzes erlebt.

Dienstag, Mittwoch, 10., 11. Juni, Tag 7 und 8: Abendessen mit den Stars
Hallo Freunde! Die zweite Woche begann mit dem Umzug von Wien nach Klagenfurt. Am Dienstag Vormittag inspizierten wir das Stadion in Klagenfurt. Ein toller Bau. Schade, dass das Stadion nach der EURO zurückgebaut wird. Danach ging´s in die drei großen Fanzonen. Zum einen in den Europark am Wörthersee, dann in die Messehalle und schließlich auch noch auf die Fanmeile im Zentrum. Die ersten kroatischen Fans sind schon hier. Insgesamt rechnet man am Matchtag mit 50.000 Fans aus Kroatien. Ansonsten hatten wir einiges an Freizeit. Baden im 23 Grad warmen Längsee war genauso wie ein Kickerl angesagt. Heute Mittwoch standen die Abschlusstrainingseinheiten auf dem Programm. Um 16.00 Uhr waren die Kroaten dran. Nach 15 Minuten mussten alle Kiebitze raus. Eine Stunde dauerte das Training. Als die Kroaten gerade beim Duschen waren, fuhr der deutsche Mannschaftsbus ins Stadion ein. Um 17.30 Uhr standen die Löw-Schützlinge für eine Stunde auf dem Platz. Die geduschten Kroaten fuhren anschließend mit ihrem Bus ins Hotel nach Villach. Drei Polizeiautos, in einem saßen meine zwei Kollegen Danijel und Josip sowie meine Wenigkeit, eskortierten den Bus bis zum Warmbaderhof. Die Mannschaft teilte sich in zwei Gruppen. Einige gingen auf ihr Zimmer, wo sie ihren Hobbys frönten (Internet, Playstation, alles vorbereitet). Die anderen saßen in einer kleinen Hotelbar und sahen sich das Vorabendspiel Tschechien gegen Portugal an. Mitten dabei Robert Prosinecki, Jerko Leko und Joe Simunic. Letzterer kannte uns noch vom Wien-Treffen und schüttelte mir und meinen Kollegen die Hände. Ansonsten ließen wir die Jungs in Ruhe. Keine längeren Gespräche, keine Fotos, damit die Burschen nicht gestresst werden. Das wurde uns nahegelegt. 20.00 Uhr Abendessen: Wenige Meter von den kroatischen Stars entfernt bekamen wir ein tolles Menü serviert. Dazwischen nur eine dünne Wand, damit die Mannschaft im großen Essenssaal nicht gestört wird. Wir sind mittlerweile auch wieder in unserem 4-Sterne-Hotel in St. Georgen angelangt. Morgen ist Matchtag. Man verriet uns, dass wir bei einem der beiden Kroatien-Spiele in Klagenfurt im Stadion sein werden. Ansonsten steht ein Besuch der von einer kroatischen Brauerei (Karlovacko) organisierten Hrvatska-Fanzone auf dem Pörtschacher Hauptplatz auf dem Programm. Bis dahin, euer David!

Donnerstag, 12. Juni 2008, Tag 9: Explosion der Gefühle
Hallo und dobar dan aus Kärnten. Was war das für ein Tag gestern. Um 10 Uhr war Dienstantritt. Von unserem Hotel in St. Georgen ging´s nach Klagenfurt zu einer Besprechung. Um Punkt 13 Uhr nahmen wir die Plätze vor dem Faneingang im Wörtherseestadion ein. Nach und nach tröpfelten die kroatischen Fans ein. Die Stimmung war schon drei Stunden vor dem Match gegen Deutschland super. Immer wieder kamen auch die Promis an uns vorbei. Einige wurden gleich einmal aufgehalten. So zum Beispiel Kroatiens U21-Nationaltrainer Drazen Ladic, Torhüterlegende von Dinamo Zagreb und Goalie jener Mannschaft, die 1998 in Frankreich bei der WM Dritter wurde. Am besten war aber das Treffen mit Kroatiens Ex-Stürmerstar Dado Prso (zuletzt Glasgow Rangers, wegen einer Knieverletzung Karriere beendet). Mit einem kroatischen Trainingsanzug kam er zu uns. Dieser Mann strahlt eine Lässigkeit und Lockerheit aus, das ist unglaublich. Sogar für ein kurzes Gespräch hatte Dado Zeit. Ganz zufällig trafen wir auch auf Austria Kärnten-Stürmer Roli Kollmann. Rund eine Stunde vor dem Spiel übersiedelten wir ins Stadion. Wir bekamen super Plätze im kroatischen Fanblock unter dem Dach. Neben mir und meinen zwei Kollegen Danijel und Josip saßen auch zwei deutsche Polizisten neben uns. Ihre Laune verschlechterte sich mit Fortdauer des Abends, unsere dagegen wurde immer besser. Die fast 20.000 Kroaten im Stadion trieben ihre Elf 90 Minuten lang zum Sieg. Als die Tore von Darijo Srna und Ivica Olic fielen, glaubte ich, die Tribüne würde gleich einstürzen. Am Ende mussten wir nach dem Podolski-Treffer noch etwas zittern. Als der Schlusspfiff ertönte, war der Jubel grenzenlos. Feiernde Kroaten verließen erst nach einer Stunde das Stadion und besetzten die Stadt und ihre Umgebung. Bis 21.00 Uhr waren wir offiziell im Dienst. Dann fuhren wir nach Pörtschach in den „Karlovacko-Corner“. Gemeinsam mit Tausenden Kroaten feierten wir nicht nur den Sieg, sondern auch den 1:1-Ausgleichstreffer von Ivo Vastic, der den Kroaten sogar den Gruppensieg sicherte. Um 3.00 Uhr endete für uns dieser unvergessliche Tag. Am Montag wird´s noch einmal rund gehen, Kroatien vs. Polen und gleichzeitig das Derby Österreich vs. Deutschland. Da wird die Post abgehen! Heute Freitag wird´s gemütlicher. Wir schauen in die kroatischen Fanzonen und mischen uns unter die Anhänger. Am Samstag haben wir frei, ehe ab Sonntag wieder mehr Arbeit auf uns wartet. Durch den feststehenden Gruppensieg ist nun mehr auch fix, dass wir nach der Vorrunde nach Wien zurückkehren, weil Kroatien dort am 20. Juni im ersten Viertelfinale auf Tschechien oder die Türkei treffen wird. Ich grüße alle Pottschacher und darf auf die vielen Gästebucheinträge von Kroaten verweisen, die Freunde und Verwandte von meinen zwei Kollegen sind und sich hier über die Ereignisse bei der EURO informieren. Do vidjenja, David!

Sonntag, Montag, Dienstag, 15., 16., 17. Juni: Es geht weiter!
Seit Ivo Vastic´s Elfmeter zum 1:1 gegen Polen stand Kroatien als Gruppensieger fest. Dieser darf am kommenden Freitag das Viertelfinale im Ernst-Happel-Stadion zu Wien bestreiten. Der Gegner war offen und sollte am Sonntag zwischen der Türkei und Tschechien ermittelt werden. Der Nachmittag begann mit der Zusammenkunft mit einem Kameramann, der mich und meine beiden Kollegen in die Klagenfurter Innenstadt begleitete und uns bei der Kontaktaufnahme mit kroatischen Fans filmte. Eine coole Sache. Das Match zwischen der Türkei und Tschechien wollten wir uns im Europa-Park in Klagenfurt ansehen. In der dortigen Fanzone sind eigentlich die deutschen Fans stationiert, an diesem Abend fand sich dort aber nur eine Handvoll Fans ein. Wir wichen in ein bayrisches Stüberl aus. Dort war´s gleich viel besser. Nach dem 2:0 für die Tschechen schien das Spiel entschieden. Am Ende gewann aber die Türkei, löste damit Jubelstürme bei den türkischen Fans und Sorgenfalten bei der heimischen Polizei aus. Gleich nach dem Schlusspfiff war uns klar: „Kroatien gegen Türkei in Wien kommt für die Polizei einer mittleren Katastrophe gleich!“ Fix ist: Da wird´s rund gehen! Rund sollte es auch am Montag, dem Tag der Entscheidung in der EURO-Gruppe B, gehen. Am Vormittag waren wir bei einem Freund von Josip im Bad Bleiberger Hof (4-Sterne-Hotel). Am Nachmittag fing es langsam zu kribbeln an. Wir gingen unserer Arbeit in der Fanzone Messepark und später am „Karlovacko Corner“ am Pörtschacher Monte-Carlo-Platz nach. Wir kommen bei den Anhängern sehr gut an, irgendwie sind wir fast wie kleine Prominente, viele wollen Erinnerungsfotos mit uns. Bei den zeitgleich stattfindenden Spielen waren wir diesmal nicht im Stadion, sahen sie uns aber in der Fanzone an. Kurz vor dem Spiel trennte ich mich von meinen Kollegen Danijel und Josip. Während die beiden sich das Spiel der Kroaten anschauten, musste ich natürlich mit den Österreichern beim Spiel der Spiele mitfiebern. Ungefähr 500 Meter voneinander entfernt hatten eigentlich nur meine Kollegen etwas zu feiern. Während Kroatiens B-Team gegen Polen 1:0 siegte, wurde Österreich durch einen Ballack-Freistoß knapp geschlagen. Glück im Unglück für mich: Bei einer Wette mit den Kollegen versprach ich, mitsamt der Uniform in den Wörthersee zu springen, sollte Österreich gewinnen! Hätte ich meinen Wetteinsatz nicht eingehalten, hätten sie mich sowieso rein geworfen. Am Abend wurde trotzdem gefeiert, und zwar in einem Klagenfurter Lokal. Josip und Danijel waren so euphorisch, dass sie bei den Liedern „17 Jahr, blondes Haar“, „Viva Colonia“ und „Allee, Allee“ lautstark mitträllerten. Josip hatte mit Udo Jürgens einen neuen Lieblingsinterpreten gefunden. Etliche Male orderte er den „17 Jahr-Hit“ beim DJ. Die Nacht dauerte wieder lang, es hieß Abschied nehmen aus Kärnten, denn am Dienstag ging es zurück Richtung Wien. Zu Mittag gab´s Sightseeing am Semmering. Josip und Danijel wollten den Hang sehen, an dem Janica Kostelic einige ihrer größten Erfolge feierte. Dann folgte ein Mittagessen bei Mama, die wieder ordentlich auftischte. Mit dabei meine zukünftige Ehefrau Ingrid, mein Bruder Filip und seine Dania. Zeit für Informationaustausch und ein Foto war vorhanden. Im Anschluss brachte ich meine Kollegen in ein Wiener Hotel. Ich selbst bin im 4-Sterne-Hotel „Wilhelmshof“ am Praterstern untergebracht. Bis zum Freitag-Schlager geht´s wieder etwas ruhiger an. Natürlich hängt vom Ergebnis ab, wie es mit uns weiter geht. Gewinnt Kroatien, geht´s zum Halbfinale nach Basel. Vielleicht bin ich dabei, vielleicht auch nicht. Verliert Kroatien, ist das Abenteuer EURO 2008 für meine Kollegen und mich sowieso vorbei. Das Nonplusultra wäre sicherlich der Finaleinzug am 29. Juni in Wien. Bis dahin ist es für die Bilic-Schützlinge aber noch ein weiter Weg. Ich melde mich am Wochenende wieder bei euch. Euer David! 

Mittwoch, Donnerstag, 18., 19. Juni: Die Spannung steigt!
Am Freitag wird Wien in den Ausnahmezustand versetzt. Kroatien spielt gegen die Türkei um den Halbfinaleinzug gegen Deutschland. Aufgrund der Immigrantensituation ein brisantes Duell. Die Polizei bereitet sich auf einen arbeitsamen Abend vor. Etwa 200.000 Fans werden am Freitag Abend in Wien erwartet. Die Stimmung steigt auch bei uns immer mehr. Gestern Mittwoch schlenderten wir durch die Wiener Fanzonen, nahmen immer wieder Kontakt mit den Fans auf. In einem dalmatinischen Lokal wurden wir vom Chef des Hauses eingeladen. Am Nachmittag rückten wir in die Rossauer Kaserne ein. Dort sind Bundesheer und auch die Polizei stationiert. Bei einem Basketball-Match zeigten Josip und Danijel, dass Basketball in Kroatien ein Nationalsport ist. Am Abend sahen wir uns die letzten Vorrundenspiele in der Kaserne (Zimmer unseres Chauffeurs) an. Heute Donnerstag war an und für sich frei. Ich zeigte Josip und Danijel meinen Posten in Tribuswinkel, wir waren shoppen in der SCS. Am Abend sahen wir im Wilhelmshof, wie die Deutschen die Portugiesen stoppten. Irgendwie ist es die Ruhe vor dem Sturm, der spätestens morgen Mittag ausbrechen wird. Tagsüber versehen wir Dienst in der Fanzone, beim Spiel werden wir im Stadion sein. Die Vorfreude auf dieses Match übersteigt alles bisher dagewesene. Was den weiteren Dienstplan betrifft, schaut es jetzt wohl so aus, dass ich bei einem Aufstieg Kroatiens nicht nach Basel reise. Grund: Wir würden erst am nächsten Freitag zurückkehren, das kann ich mit der Hochzeit am Samstag nur schwer vereinbaren. Meine Kollegen Josip und Danijel hingegen könnten durchaus dabei sein. Möglicherweise tauchen sie am nächsten Samstag als Ãœberraschungsgäste bei meiner Hochzeit auf. Den nächsten spannenden Tagebuch-Eintrag gibt´s am Samstag. Auf einen Sieg der Kroaten, Euer David!

Freitag, Samstag, 20., 21. Juni: Bitteres Ende in der 122. Minute
Der Traum vom EM-Finale ist ausgeträumt. Kroatien verlor das Viertelfinale gegen die Türkei, obwohl man es eigentlich schon gewonnen hatte. Aber von vorne: Zu Mittag ging´s los in die Ottakringer Straße. Dort war die Stimmung bereits im Ãœberkochen. Kroatische und türkische Fans stimmten sich gemeinsam auf das Abendspiel ein. Keine Spur von Aggression! Auch auf dem Stephansplatz ging es ordentlich rund. Wie viel Fans sich wirklich in der Innenstadt aufhielten, kann nicht wirklich gesagt werden. Fix ist, dass der Menschenauflauf aber sechsstellig war. Ein tolles Erlebnis widerfuhr uns in einer Seitengasse, als plötzlich etwa hundert „karierte“ Fans vor uns standen und uns plötzlich lautstark feierten. Josip, Danijel und mir zog es eine Gänsehaut auf. Ein unvergleichliches Erlebnis. Im Zuge des Abendessens trafen wir auch den Bruder von Ivica Olic (ein Freund von Josip), mit dem wir ein kleines Gespräch führten. Auch ein junger Mann namens Danijel Blazanovic (aus Bosanski Samac) redete mich an, vielleicht sind wir sogar irgendwie ganz weitschichtig verwandt. Ab 19.00 Uhr waren wir im Stadion. Was dort abging, werde ich wohl mein ganzes Leben nicht vergessen. Ich würde mal sagen, 70% des Stadions waren kroatische Fans, 15% Türken und der Rest Österreicher und Deutsche. Ganz ehrlich: Die Türken boten eine super Stimmung, aber wie die Kroaten 120 Minuten lang mitgingen, war Weltklasse. Zum Spiel selbst: Die Türkei begann besser, doch dann hatten die Kroaten ganz klar die besseren Chancen, machten aber leider das Tor nicht. In der Verlängerung schwanden bei den Kroaten langsam die Kräfte. Das Drama am Ende? Als Ivan Klasnic das 1:0 in der 119. Minute schoss, glaubte ich, das Stadion würde einstürzen. Wer nicht dabei war, kann sich das nicht vorstellen. Als wir noch mitten im Jubel über das 1:0 waren, bekamen einige gar nicht mit, dass die Türken in der 122. Minute noch das 1:1 erzielten. Der Schock saß tief: Plötzlich war alles ruhig. Irgendwie war für alle klar, dass das nun folgende Elferschießen nicht gewonnen wird. So war´s dann auch: Zuerst Modric, dann Rakitic und Petric vergaben, dazwischen traf nur Srna. Nach dem Ende jubelte nur mehr die Türkei. Einige gestandene Männer hatten Tränen in den Augen. Alle waren am Boden zerstört. So eine bittere Niederlage vergisst du das ganze Leben nicht. Gleich nach dem Spiel verschwanden die Kroaten schnell und ruhig. In der Fanzone dürfte es zu kleineren Ausschreitungen gekommen sein. Elf Verhaftete oder so. Wir bekamen davon nichts mehr mit. Müde fielen wir ins Bett, schlafen konnten nur die wenigsten. Samstag 14.00 Uhr ist das Abenteuer EURO 2008 beendet. Josip und Danijel kehren nach Osijek zurück, ich darf nach Hause zu meiner Familie, heirate nächsten Samstag. Fazit: In Gedanken waren wir schon in Basel bei Deutschland. So aber bleibt von den letzten 14 Tagen viel Positives: Wir haben so viel Schönes erlebt, trotzdem wird die Bombe von Semih Sentürk wohl alles überragen. Kroatien verlor bei der EM kein Spiel, hat zum jetzigen Zeitpunkt die meisten Punkte aller 16 Teilnehmer erreicht. Was bleibt noch in Erinnerung? Die unglaublichen Fans der Kroaten, die zu Hunderttausenden Österreich belagerten. Ein großer Dank an meine beiden Kollegen Josip und Danijel: „Hvala vam, sto ste bili sa mnom u ovim danima!“ Wir bleiben in Kontakt. Damit schließt das Tagebuch von David. Forza SVSF!